1. Vom grundsätzlichen Gebot der Produktneutralität darf nur abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist. In solchen Fällen ist eine Beschränkung oder Einengung des Wettbewerbs als Folge des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers grundsätzlich hinzunehmen. Dieses Bestimmungsrecht des Auftraggebers ist jedoch in einem offenen Vergabeverfahren nicht grenzenlos. Nur solange die Anforderung nicht dazu führt, dass die Ausschreibung faktisch auf ein Produkt zugeschnitten ist und die Anforderung objektiv sach- und auftragsbezogen ist, wird dem Grundsatz der Vergabe im Wettbewerb und der Wahrung der Bietervielfalt hinreichend Rechnung getragen.*)
2. Die europäische Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (VKR) hat in Art. 23 Abs. 8 die Ausnahme der produktscharfen Spezifikation uneingeschränkt unter die Vorgabe des Zusatzes „oder gleichwertig“ gestellt. Die für den nationalen Bereich noch weit gehende Aussage des § 7 Abs. 4 VOL/A, wonach der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ dann entfallen kann, wenn ein sachlicher Grund die Produktvorgabe rechtfertigt, wird damit für die EU-weite Vergabe nur unter diesem Vorbehalt möglich. Der scheinbare Widerspruch, dass bei einem ausschließlich brauchbaren Produkt der Zusatz „oder gleichwertig“ keinen Sinn ergibt, weil ja eben nichts anderes erwünscht ist, löst sich unter der Prämisse des EU-Rechts auf, das offensichtlich davon ausgeht, dass es einem Auftraggeber gar nicht wirklich möglich ist, EU-weit abzuschätzen, welche Möglichkeiten der Markt bietet. Art. 23 Abs. 8 VKR wurde wortgleich in § 8 EG Abs. 7 VOL/A übernommen. Damit ist bei einer EU-weiten Vergabe zwingend eine Produktvorgabe mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen.
-VK Nordbayern, Beschluss vom 24.09.2014 – 21.VK-3194-26/14-